Schlagwort-Archive: film

Sprung vom fahrenden Zug

Friedrich List und die erste grosse Eisenbahn

Wir verlernen zu Schauen. Wir halten permanent Ausschau, nach der nächsten Qualitätsserie, der nächsten Phase einer Franchise, der nächsten Fortsetzung. Daran selbst ist wenig auszusetzen. An der damit einhergehenden Ruhelosigkeit, der Angst etwas zu verpassen hingegen schon. Sie lähmt uns, hemmt unseren Genuss. Die Gleichzeitigkeit der Berichterstattung und Reaktionsvideos zur Ausstrahlung erzeugt einen Druck, der uns blind und taub macht, die Authentizität der unmittelbaren Reaktion unserer Reviews tauschen wir ein gegen tiefergehende Erkenntnisse, die erst in uns heranreifen und durch mehrmaliges Sehen bestätigt werden müssen. Für eingehendere spätere Analysen gibt es keinen Markt mehr, längst hecheln wir dem nächsten Trend hinterher, der gerade eben angelaufen ist. Übersättigung ist das, nein, schlimmer noch: Völlerei, seriell-industrielle Völlerei, weil alles probiert werden muss, selbst wenn man längst keinen Hunger mehr hat. Immer neue Gerichte werden uns aufgetischt, zum wiederholten Kochen eines Ausnahmegerichts bleibt kaum mehr Zeit, oder zum aaufwärmen von Speisen, die erst noch ziehen müssen, ehe sie ihren vollen Geschmack entfalten. Mit Serien und Filmen ist es genauso. Gut, als Kritiker oder Medienjournalist kommt man vielleicht nicht umhin sich professionell damit auseinanderzusetzen und wir teilen uns die Arbeit auch auf, trotzdem kann ich meine Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation nicht länger verbergen, ich bin zu alt für diesen Scheiß. Sprung vom fahrenden Zug weiterlesen

Schwärmintellektuelle

Moses kommt vom Berg, er schleppt schwer an den 10 Geboten. Er räuspert sich, und noch bevor er das Erste vorgelesen hat, melden sich erste Stimmen aus der Menge: “Lauter!” – “Dauert das noch lang?” – “Hat wer meinen Hund gesehen?” – “Seht mal da! Der Busch brennt!” – “Löschen wir ihn!” – “Lööö-schen!!! Lööö-schen!!!” – Und das war’s dann, der Brand war schnell unter KonTrolle und Gott durchnässt. Kannste voll dran glauben.

LES REVENANTS
Der Staudamm aus der tollen französischen Serie LES REVENANTS

Wir wussten schon immer alles besser. Wir wissen wie DEXTER hätte aufhören müssen, das BREAKING BAD Finale hätten wir selbstredend noch besser gestaltet, und kommt uns besser gar nicht erst mit LOST. War ja eh klar. Die Welle – ach was – den Tsunami der Entrüstung haben wir ja schon längst kommen sehen.

Schwärmintellektuelle weiterlesen

Zukino

In den letzten Wochen bin ich über drei Links gestolpert, die für sich betrachtet mit einem Schulterzucken hingenommen werden können. Zusammen betrachtet, kombiniert mit ein bisschen Phantasie, sind sie Anzeichen für das Ende der Ära des Blockbusterkinos, und das next big thing nach 3D. Also erschreckt nicht zu sehr liebe Kinofreunde, wir bekommen bald unser verloren geglaubtes Kinogefühl zurück, während es für die jüngeren Generationen (sowie deren nicht zu beneidenden Eltern) eher so aussehen wird:

http://www.youtube.com/watch?v=tYpRQ5Mw2lM
„Mama, ich seh die Leinwand nicht mehr!“

Keine Angst, das sind nur erste, stümperhafte Versuche, die Richtung kann man besser anhand einer anderen Franchise von Disney erahnen, an STAR WARS. Genauer, wenn man liest, woran Lucasfilm für die nahe Zukunft der Postproduktion arbeitet. Gleichzeitig nähert sich die Spieleindustrie von der anderen Seite her an, und wird ihrerseits immer ausgefuchster und filmischer. In Echtzeit.

Wenn man das etwas weiter spinnt, dann sehe ich bald meinen Sohn ein STAR WARS Spiel auf der Konsole spielen, deren hochauflösende Kamera sein Gesicht dabei aufnimmt (das nötige „Greenscreen-Extension-Kit“ habe ich ihm selbst zusammen gebaut, die DIY-Anleitung dazu findet man zuhauf im Internet, falls man nicht ein Ehemaliger ist, der das Wissen dazu sowieso mitbringt). Dann wird sein Gesicht in eine individualisierte Version eines Raumgefechts aus Episode 10 eingefügt, und er sieht sich selber an der Seite der Guten mitkämpfen. Je mehr Szenen er in dem begleitenden Spiel frei spielt, desto mehr rückt er auch in dem Film in die zweite Reihe auf. Und Mädchen dürfen die Klamotten der Prinzessin designen. Die Zeiten wo ein Film für alle gleich war, ist dann endgültig vorbei, und fungiert gleichzeitig als „praktischer“ Kopierschutz. Das ist so von gestern, und nur olle Cineasten (die man dann Cinealten nennt) trauern dem noch nach, wie irgendwann vorher mal dem Material, auf dem angeblich gedreht wurde, und das Film hieß.

Zukino weiterlesen

Umzug

Nach knapp 10 Jahren bin ich zum ersten Mal wieder umgezogen. Ich kann nicht gerade von mir behaupten, dass ich das vermisst hätte. Nur dieses Mal ist etwas wesentliches anders: es geht aus einer Mietwohnung ins Eigenheim. Mir behagt nicht der mögliche Einfluss dieses Umstands auf meinen bis dato unabhängigen Geist.

Umzugskartons
Umzugskartons

Ich war immer ein Freund von Mietwohnungen, ein Zigeuner im Herzen, nur mit Wohnungen ohne Rädern drunter. Schließlich bin ich das schon beruflich gewohnt: mein HD-Studio ist transportabel angelegt, je nach Umfang des Jobs schnappe ich mir meine Koffer und kann mich innerhalb von einer knappen Stunde überall einrichten wo ein bisschen Platz und eine Steckdose ist. Mir jetzt plötzlich ein festes Studio einrichten zu können, hat etwas beängstigendes. Was kommt als Nächstes? Die Sorge um Kratzer im Fußboden, den Kacheln und Fugen? Plastikfolien auf den Sitzmöbeln? Rasen mähen und die Regenrinne vom herbstlichen Laubbefall reinigen? Ja Himmel-Arsch-und-Zwirn ich hab doch besseres zu tun, darum wohne ich doch woanders, wo man sich um dergleichen eben nicht zu kümmern braucht! Vielleicht mache ich mir da ja unberechtigte Sorgen, und es kommt ganz anders… Vorher ziehe ich jedenfalls lieber wieder aus. Man kann Häuser ja genauso vermieten und muss nicht selber darin wohnen. Was keine Kritik an dem Haus, der Nachbarschaft oder irgendwem sein soll. Aber brauch ich das? Nein. Mich beruhigen allerdings die Ziegel mehr, als der vormalige Kontostand bei der Bank. Von High-traffic-brick-transfers habe ich jedenfalls noch nichts gehört. Es ist ein gutes Gefühl Handwerker für ihre Arbeit zu bezahlen, die man sehen kann, und nicht nur Zahlen per Mausklick verschiebt.

Ok, selbst wenn ich mal mit der Kamera oder dem Mikrofon unterwegs bin, manchmal bin ich selber „nur“ ein Mausschubser. Aber ob dabei ein Text entsteht, ein Blogeintrag, ein Drehbuch, ein Video… es entsteht etwas, und kein Geld wandert nur virtuell von Konto A auf Konto Z via Konten in B-Y und von dort zurück. Das könnte man Diebstahl nennen, wenn letztendlich nur Geld von der Tasche der anderen in die einiger weniger wandert, oder? Irgendwo hört die Dienstleistung auf, und der Raub beginnt. Mit meinem Geld dürfen diese Säcke jetzt nicht mehr spielen. Obwohl, eigentlich spielen die ja seit Jahren nur noch mit unser aller Schulden – realen Gegenwert hat das nicht mehr, was die tun.

Umzug weiterlesen