Filmunterricht an Schulen, aber wie?

Robin Williams im CLUB DER TOTEN DICHTER

Wie Filmunterricht an der Schule im 21. Jahrhundert aussehen könnte, habe ich ein Jahr lang im Selbstversuch an der Willy Brandt Schule in Warschau in der AG Filmakademie (kurz AGFA) ausprobiert. Als Lehrer.

Filme gab es zu meiner Schulzeit (in den 80er Jahren) kaum im Unterricht, höchstens alle Schaltjahre mal einen meist pädagogisch wertvollen Kinobesuch (z.B. AUF WIEDERSEHEN, KINDER), der dann im Deutschunterricht inhaltlich besprochen wurde. Eine Ausnahme von dieser Regel bildete dann nur im Abitur unser Englischlehrer, der sich über jede VHS-Kassette im O-Ton freute, die wir auftreiben konnten – bedeutete das doch für ihn zwei Schulstunden, die er nicht selber halten musste. Die Filmsprache selbst spielte nie eine Rolle. Über Fernsehsendungen und Serien sprach man während der Stunde nur, um vom Unterricht ablenken zu können, in der meist fälschlichen Hoffnung weniger Hausaufgaben aufzubekommen.

35 Jahre später sind wir kaum weiter, obwohl heute jeder Schüler über 12 eine Kamera in seiner Hosentasche trägt, im Telefon versteckt. Deren Qualität übertrifft bereits alles, was uns damals – wenn überhaupt – zur Verfügung stand. Nur der Unterricht hat wie so oft nicht mit dieser Entwicklung Schritt gehalten. Zwar mag es an einigen Schulen engagierte Lehrer geben, die Kurse im Filmemachen anbieten, meistens handelt es sich dabei jedoch um an Fernsehkonventionen orientierte Interview- und Reportageformate, die meist nur Schulveranstaltungen dokumentieren, oder gelegentlich das Niveau von Amateurfilmen erreichen, wenn man sich mal an erzählerische Formate wagt. Immerhin entsteht so ein erstes Bewusstsein dafür, dass das mit dem Filmemachen nicht so einfach ist.

Material aus dem Netz

Darüber hinaus gibt es noch die Bundeszentrale für politische Bildung, die zusammen mit Regisseuren den Filmkanon erstellt hat, zu dem ausführliches Begleitmaterial bereit gestellt wird. Das macht unter Heranwachsenden ungefähr genauso viel Lust auf Film, wie man vermutet, nämlich gar keine. Weder den Filmen, noch den Schülern tut man damit einen Gefallen. Ich meine PANZERKREUZER POTEMKIN für 12-jährige? Da bin ich selbst bei meinen ersten drei Anläufen an der Uni eingeschlafen.

Klugscheißen kann jeder

Etwas besser sieht es dann schon aus, wenn sich Ralph Caspers und Co. des Themas annehmen und es im Stile der Sendung mit der Maus aufbereiten: Filmbildung in der Grundschule. Über das Grundsätzliche findet man noch weitere ähnliche Quellen im Internet (hier etwa), aber was ihnen allen gleichermaßen fehlt, ist die kompetente Begleitung konkreter Projekte, ohne die Anspruch und Praxis auseinanderklaffen. Das ist in etwa so, also ob man sich das Notenlesen ohne Instrument beibringt, tagelang Tonleitern (oder eben Einstellungsgrößen) übt und darüber den Spaß am Musik machen verliert. Das muss auch anders gehen.

Wie einige von euch vielleicht noch wissen, habe ich letztes Jahr an der Willy Brandt Schule in Warschau einen Kurs angeboten, in den ich (mehr oder weniger vergeblich) versucht habe die Schüler zu Moviepilötchen zu machen und dabei auf die Erfahrung von erfahrenen Moviepiloten zurückgegriffen.

Phase I

Zu Beginn habe ich versucht die Theorie anhand von möglichst kurzweiligen Präsentationen, Filmausschnitten, ausgewählten Spielfilmen, sowie einfachen Licht- und Kameraübungen zu vermitteln. Das Ergebnis war zwar trotz der Faktenfülle einigermaßen unterhaltsam, aber unterm Strich vermutlich für beide Seiten frustrierend. Warum? Weil nichts hängen bleibt, was man nicht wiederholt. Man lernt ja auch nicht zu schreiben indem man liest, und höchstens ab und zu mal eine SMS (gibt’s die noch?) verschickt.

Das Spielfilme als Hausaufgabe gucken kam nicht so gut an, besser lief es mit Ausschnitten aus diesen (und anderen) Filmen im Rahmen der Präsentationen, weil das der Aufmerksamkeitsspanne der Schüler entgegen kam (zu ihrer Verteidigung: wir sprechen von Nachmittagsunterricht zwischen 14.00 und 16.00 Uhr – da ist bei manchen einfach schon die Luft raus) und für Abwechslung sorgte. Hätte ich z.B. die Absicht gehabt sie mit dem PANZERKREUZER POTEMKIN zu konfrontieren, dann wäre meine Wahl auf diverse Zitate der Treppenszene gefallen, von BRAZIL über THE UNTOUCHABLES bis zur NACKTEN KANONE 33 1/3.

Auch die Übungen zu Kamera und Licht waren eine gute Idee, weil man dazu aufstehen und sich bewegen musste. Aber ohne konkretes Projekt verpuffte deren Wirkung ebenso schnell wie sie sich von den Schülern angeeignet wurde. Als Beispiel sei hier das „vertical camera syndrome“ angesprochen, das sich zum Jahresende wieder eingeschlichen hat und einem die Tränen in die Augen treiben konnte.

Mein ursprünglich vorgeschlagenes Ziel einer Webseite mit von den Schülern erstellten Tutorials für Gleichaltrige, stellte sich schnell als utopisch heraus; dazu stand uns viel zu wenig Zeit zur Verfügung. Die AGFA wäre damit überfordert gewesen, die Priorität für jede Form von Unterricht zu einem neuen Thema hat meiner Meinung nach aber dem Spaß- und Unterhaltungsfaktor zu gelten, denn dann ergibt sich das Weitere meist von selbst, oder man merkt schnell, dass man im falschen Film bzw. Kurs steckt.

Ein Kompromiss war gefunden, als ich die Schüler selbst Filme als Thema vorschlagen ließ, auf die ich (und die Moviepiloten) mit der Einordnung in einen filmgeschichtlichen Kontext antworteten. Dokumentiert haben wir das in dieser Wichtelfilmliste, und rund um die HUNGER GAMES entstand eine fruchtbare Diskussion rund um Ästhetik und Inszenierung im Vergleich mit DAS MILLIONENSPIEL, RUNNING MAN und NETWORK. Das ist zwar noch keine Praxis, aber ein vielversprechender Weg um überhaupt erfolgreich in die Filmgeschichte einzutauchen.

Phase II

Nach Weihnachten tat sich dann die Chance für ein praktisches Filmprojekt auf: Für den Bundeswettbewerb Fremdsprachen sollten zwei Filme entstehen. Und siehe da, es kamen mehr Jugendliche in den Kurs und das konkrete Vorhaben zog beide Gruppen tiefer in die Materie. Wir entwickelten die Drehbücher, gingen in einem nächsten Schritt dazu über die Visualisierung mittels Karteikarten und kruden Storyboards anzugehen. Das hat die Schüler richtig begeistert und neu motiviert, man konnte es förmlich in den Köpfen “klick” machen hören.

Beide Filme wurden von der Jury ausgezeichnet und jeweils 3 Schüler nach Hannover zur Präsentation eingeladen worden, die sind aber lieber nach Wien gefahren, was man ihnen kaum verübeln kann. Gerne würde ich euch die Filme hier einbetten, da dort aber aktuelle Popmusik vorkommt, kann (und vor allem darf) ich derlei nicht öffentlich zugänglich machen. Auch hier hinkt der Gesetzgeber meilenweit hinterher und obendrein an den Bedürfnissen unseres Nachwuchses kilometerweit vorbei. Europäisches „fair use“-Modell? Fehlanzeige. Selbst was Schulen dürfen und nicht dürfen ist für die meisten Lehrerzimmer zu schwer zu verstehen. Wie sollen es da erst die Schüler lernen, wenn ihre Apps sie in ihrem Alltag zu einem gänzlich anderem Umgang verleiten und erziehen?

Im Ergebnis war die Projektarbeit schon toll, aber mir schwebte noch ein Versuch vor, uns an einem Hybrid aus beiden vorherigen Phasen zu versuchen, der sich am besten in dem Begriff “reverse engineering” zusammenfassen lässt.

Phase III

Es hieß also einen Spielfilm in seine Einzelteile zu zerlegen, Einstellung für Einstellung in einem Schnittprogramm. Das hatte schon mal den Vorteil, das alle im Handumdrehen vor dem Rechner saßen und mit Profisoftware zu hantieren hatten, deren Benutzeroberfläche allein bei manchen Betrachtern Herzrhythmusstörungen auslösen kann. Nicht nur unter Windows wimmelt es nur so vor Fenstern und ein falscher Klick oder Tastendruck droht den Rechner ins Nirwana zu schicken. Schon nach wenigen Minuten bot sich dann ein anderes Bild: die immer gleichen Keyboard-Shortcuts gingen in einem Tempo von der Hand, das man nicht für möglich gehalten hätte. Und es wird noch besser: fast jede Einstellung wirft Fragen auf. Wenn die Kamera schwenkt, ist das dann schon ein Schnitt? Nein, aber eine gute Frage. Dann geht ein Blitzgerät los und das Bild ist so überbelichtet, dass man nicht weiß bei welchen Frame jetzt genau die eine Einstellung aufhört und die nächste beginnt. Bald darauf eine Plansequenz, es kommt einfach kein Schnitt und das fühlt sich merkwürdig, ja falsch an. Vorher wäre ihnen derlei nie aufgefallen, aber kaum schneiden sie, sehen sie Film mit anderen Augen. Da wollte ich hin. Der Unterschied ist, dass sie jetzt von alleine auf die Fragen stoßen, sie ergeben sich von selbst, es ist kein einseitiges dozieren mehr, das uns ja ohnehin gelangweilt hat.

Damit es nicht langweilig wurde, blieb es natürlich nicht beim Auseinanderschneiden, sondern wir fügten auch geschnittene Szenen wieder ein und redeten darüber wo sie hin gehört haben mögen und warum sie wohl aus dem Film geflogen sind. Oh, ich hab noch gar nicht erwähnt, dass ich DER CLUB DER TOTEN DICHTER ausgewählt hatte, weil ich ihn so gut kenne, viel über seine Entstehung weiß und er thematisch nah genug an den Problemen und Sorgen meiner Schüler dran ist. Die geschnittenen Szenen findet man zum Beispiel auf youtube. Darüber hinaus findet man im Internet ebenso das Shooting-Script, Interviews und vieles mehr – mit der Recherche dazu könnte man in Zukunft die Schüler in Gruppenarbeit auch selbst beauftragen. So wurde uns nie langsam und das Stockholm-Syndrom machte sich bemerkbar: die Jugendlichen verliebten sich in einen Film, der älter ist als sie selber.

Als letzter Schritt war dann ein eigenes Projekt mit dem Film umzusetzen. Hä? Wie soll das denn bitte gehen wenn der Film doch fertig ist? Mit einem Spoof-Trailer. Man erzählt mit den Bildern des Films einen völlig anderen Plot in Form eines Trailers. Das erste Spoof-Trailer-Thema war schnell gefunden: Horror sollte es sein. Denn wenn sich die Jungs nachts aus dem Internat schleichen und in den nebligen Wald laufen, reicht schon eine andere Musikuntermalung um die gewünschte Horrorwirkung zu erzielen. Davon ausgehend bastelt man einerseits an einer Dramaturgie für den Trailer, die man sich andererseits durch die Analyse entsprechender Genre-Trailer aneignet, kopiert und adaptiert. Idealerweise sollte so eine Gruppe aus nicht mehr als zwei Schülern bestehen, sonst entsteht echter statt konstruktiver Streit.

Leider kam den Projekten dann die weiter oben erwähnte Fahrt nach Wien in die Quere, daher wurden sie nicht mehr selber damit fertig, sondern drehten stattdessen einen Reisefilm für ihre Klasse. Da konnte ich nicht nein sagen. Als Lehrer hat man den Interessen der Schüler zu folgen, und nicht umgekehrt. Ich hab es mir dann aber nicht nehmen lassen die Ansätze des Trailers weiterzuverfolgen, so dass man zumindest einen Eindruck gewinnen kann, wie sich das hätte entwickelt haben können. Das Zwischen(end)ergebnis sieht so aus:

Ganz gut, oder? Aber naheliegend. Wie wär’s eine Spur schwieriger? Auch da stießen meine Schülerinnen (ja, am Jahresende waren keine Jungs mehr dabei) auf eine brillante Idee: Ihnen fiel auf, das Josh Charles ein bisschen aussieht wie ein junger Robin Williams. Gesagt, getan, dann kam ein Zeitsprung hinzu und unter Zuhilfenahme der folgenden beiden Prämissen entstand die Vorlage für einen Romcom-Trailer.

knoxtodd

Knox damals und heute, sowie Todd seinerzeit und jetzt.

So weit alles klar? Dann guckt jetzt auf eigene Gefahr weiter. Das ist vor allem für all jene schwerer, die sich nicht von dem Film im Kopf lösen können, den sie schon kennen. Genau das muss ein Cutter aber können. Ich hab ein bisschen geschummelt und mit den üblichen Songs nachgeholfen, prompt entwickelte sich eine Eigendynamik, dann kam eins zum anderen und ich konnte nicht mehr aufhören. Manchmal geht so ein Projekt eben mit einem durch und entwickelt ein Eigenleben.

Eigentlich müsste man beide Trailer noch überarbeiten, kürzen und polieren, das Wesentliche ist aber das Denken in freien Kategorien, die Bilder für sich sprechen zu lassen bzw. ihr geheimes Leben zur Geltung zu bringen. Subtext, ick hör dir trapsen. So handelt es sich dabei eben nur um abandoned-work-in-progress. Wie ich auch mein Projekt der Filmakademie nach einem tollen Jahr mit mehr Aufs als Apps geschlossen habe. Meine Rückkehr ist nicht ausgeschlossen, sogar erwünscht, doch zieht es mich zunächst einmal wieder selber in die Praxis, auch des Geldes wegen. Dennoch seien Projekte wie vor allem Letzteres zur Nachahmung empfohlen. Für Fragen und Tipps stehe ich gerne zur Verfügung.

Phase IV

Es geht also eine ganze Menge, nur scheitern derlei Projekte zu oft an den schlechten Rahmenbedingungen, sowohl fehlendem Equipment als auch Personal. Hier wäre die Politik gefragt und in der Pflicht. Diesbezüglich gebe ich allerdings die Hoffnung lieber auf, oder baue gleich auf einen „Regierungswechsel“, um es abschließend mit den Simpsons zu sagen:

Danke für’s Lesen und jetzt wagt euch mal selber ran an die Filmemacherei.

PS: Freeware Software-Empfehlungen für eure eigenen Experimente.

– Drehbuch: Dramaqueen oder Celtx
– Schnitt: Lightworks

Crosspost auf Moviepilot.

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